Endlich werden die Tage wieder länger, wärmer und heller! Spazieren gehen und die eigene Umgebung näher zu erkunden, ein Vergnügen, das auch in Coronazeiten möglich ist. Und dabei begegnen wir interessanten sowie kuriosen Geschichten…

Heute spazieren wir vom Unteren Stadtplatz zur Schweighoferstiege und weiter zum Stiftsplatz, wo eine echte Königin auf uns wartet. Auf geht´s!

Die Schergentorgasse verbindet den Unteren Stadtplatz Richtung Osten mit der Salzburgerstraße bzw. Bundesstraße. Schergen waren Gehilfen des Henkers, und die Stadt Hall, welche auch Sitz des Land- und Stadtgerichts war, hatte Henker, und was für welche! Ottmar Krieger zum Beispiel war Scharfrichter zu Hall von 1645 bis 1671 und hatte bis zu durchschnittlich viermal jährlich ein Todesurteil zu vollstrecken. Bekannt wurde er vor allem durch die Enthauptung des Kanzlers Wilhelm Biener im Jahre 1651. Bedenkt man, dass die Todesstrafe erst in den 1960er Jahren in zahlreichen europäischen Ländern abgeschafft wurde, bekommt man heute noch Gänsehaut! So lange ist das gar nicht her.

Blick in die Schergentorgasse

Das Schergentor am Unteren Stadtplatz

Dort, wo heute eine Unterführung in den alten Stadtgraben führt, überspannte das gleichnamige Schergentor die heute großzügige Zufahrt zum Unteren Stadtplatz als Teil der Stadtmauer im Süden der Stadt. Die Schergen des Henkers wohnten in der Gasse „ums Eck“, während der Meister selbst im „Gritschenwinkel“ hauste (heute Krippgasse West, Obere Altstadt). „Gritsch“ gilt als Bezeichnung für Letten, Morast, lässt also nicht auf die beste Wohngegend schließen. Auch wenn der Henker gut bezahlt war und nach erfolgreichem Abschluss einer Lehre den Meisterbrief bekam, war er gesellschaftlich geächtet: Er wohnte am Rande der Stadt, seine Kinder durften keinen herkömmlichen Lehrberuf erlernen. Bestattet wurde er meist an wenig prominenter Stelle, er galt als unehrenhaft.

Schaurige Überbleibsel

An der Stelle des ehemaligen Henkershauses steht heute das 1912 errichtete Postgebäude. Flurnamen wie das Köpflplatzl beim Thömlschlössl oder die Galgenfeldstraße im Stadtteil Schönegg erinnern heute noch an die Stätten des Richtens. Damals war das Gebiet unbewohnt, außerhalb der östlichen Stadtmauer gelegen.

Blick von Süden auf Stadtmauer und ehem. Schergentor

Zurück zur Schergentorgasse: Am Café Post vorbeispaziert, wo man hoffentlich schon bald wieder wunderbaren Kaffee genießen und in feinstem Ambiente Zeitung lesen kann, öffnet sich nordseitig der „Einstieg“ in die Schweighoferstiege, die weiter zur ehemaligen Bachgasse, heute Eugenstraße, und zum Stiftsplatz führt.

Lassen wir unseren Blick zum Beispiel nach rechts Richtung Osten schweifen:

Gaststätte mit Tradition: die Bretze

Hoffentlich schon bald seine Pforte wiedereröffnen darf auch eines der traditionsreichsten Gasthäuser der Stadt, die Bretze, ursprünglich eigentlich beim „Brötz“ genannt, so der Name einer der ersten Betreiberfamilien. Dass Gasthäuser meist im Obergeschoss ihre Stuben hatten, hatte einen praktischen Hintergrund: Die Obergeschosse waren trocken, auch heller und im Allgemeinen sicherer. Noch heute sind die Künstlerstuben erhalten, wo man in gemütlichem Rahmen, bei Speis´ und Trank Kunstwerke namhafter Persönlichkeiten wie Franz von Defregger, Albin Egger-Lienz, Artur Nikodem und anderen bewundern kann. Zu verdanken ist diese hochkarätige Sammlung den „Einsiedlern“, einer Haller Tischgesellschaft um 1900, die bekannte Maler um Bildspenden bat und diese – wenn auch manchmal erst auf Nachdruck – auch erhielt. Kostenlos zur Verfügung gestellt wurden Leinwand und Farben, oft auch Kost und Logis.

Illustre Gäste im Gasthof Bretze

So soll kein geringerer als Franz von Defregger sich längere Zeit in Hall aufgehalten haben und in der Burg Rainegg in der Altstadt untergebracht gewesen sein.  Die nackten Wände des alteingesessenen Wirtshauses füllten sich auf diese Weise nach und nach. Auch das aus Holz geschnitzte Wappen der Einsiedler (Mönch mit Katze auf dem Buckel) hängt noch heute in einer der Künstlerstuben. Auch Wilhelm Busch hat sich mit einem Gedichtbeitrag in der Bretze „verewigt“, der gerade in Zeiten wie diesen wieder treffend ist:

Obgleich die Welt ja, sozusagen

wohl manchmal etwas mangelhaft,

wird sie wohl in den nächsten Tagen

vermutlich noch nicht abgeschafft.

Solange Herz und Auge offen,

um sich am Schönen zu erfreu´n,

solange darf man freudig hoffen,

wird auch die Welt vorhanden sein.

Die Schweighoferstiege

Die Schweighoferstiege trägt bis heute den Namen einer alten Müllersfamilie. Von der ehemaligen Bachgasse (heute Eugenstraße) wurde nämlich der Stadtbach an dieser Stelle steil abfallend in ein Mühlrad geleitet. Das steile Gefälle des Haller Schwemmkegels bot sich geradezu an. Das Mahlen des so lebenswichtigen Getreides machte den Müllersberuf zu einer der wichtigsten Zünfte überhaupt. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts waren zahlreiche Zünfte in der blühenden Handelsstadt Hall vertreten.

Noch heute erinnern einige Gassenbezeichnungen daran (Schmiedgasse, Schlossergasse, Gerbergasse, Fassergasse). Wichtig war das Wasser aus dem Gebirge aber vor allem, um Halls Brunnen und damit die Menschen mit Frischwasser zu versorgen. Auch allen Unrat oder Müll, der in die hölzernen Gerinne oder Ritschen gekippt wurde, weiter zu spülen und schließlich in den Inn zu befördern. Kein Wunder, dass es immer wieder zum Ausbruch von Seuchen und Epidemien kam! Wie übel muss es wohl in der Stadt gerochen haben, kaum vorstellbar!

Das Wunder von der Eselsmühle

„Das Wunder von der Eselsmühle“ erzählt von der dreijährigen Tochter eines Mühlenbesitzers, die am Eingang der Bachgasse spielt. Unglücklicherweise stand ein Ritschendeckel des Baches offen und das Kind wurde von der Strömung in der Rinne fortgerissen, die Gasse entlang, über die steile Geländekante hinunter bis zum Mühlrad und weiter bis zum Unteren Stadtplatz. Erst dort konnte das Mädchen geborgen werden: durchnässt, schreckensbleich und übel riechend, wie es heißt, aber wie durch ein Wunder unversehrt.

Von Urinfässern und Fetzweibern

Angekommen beim Haus Nr. 11 der Eugenstraße stehen wir vor dem früheren „Kuttenwirt“, einem Gasthaus, das zuvor auch lange Zeit Bäckerei gewesen war. Im Hauseingang befand sich ein öffentliches Pissoir (!). Der Urin der Gäste wurde dort in Fässern gesammelt. Die sogenannten „Fetzweiber“, meist alleinstehende Frauen, brachten die Fässer regelmäßig mit ihren Fuhrwerken zur Salmiakfabrik vor die Stadt, um sich ein paar Kreuzer zu verdienen (19. Jh.). Auf dem Weg an der Pfarrkirche vorbei, soll sich folgende Geschichte zugetragen haben:

Als einmal an einem verschneiten Wintertag die Geschwister Theresa und Hans – bekannt als Fetzgrattl-Thres und Fetz-Hans – mit ihren vollen Fässern auf dem Weg zur Fabrik waren, lauerten ihnen ein paar Lausbuben am Kirchturm auf. Als die Geschwister an der Pfarrkirche vorbeikamen, warfen die Buben vom Kirchturm Schneebälle in die vollen Fässer herab, dass der Urin nur so spritzte! Hans und Theresa schimpften lautstark, die Buben freute es umso mehr.

Das Haller Törtchen

Eine Tafel auf Haus Nr. 4 in der Eugenstraße erinnert heute noch an eine bekannte Haller Süßspeise, die schon vor Jahrhunderten den Gaumen so manch prominenten Gastes in Hall erfreute, das Haller Törtchen. So soll schon Sigmund der Münzreiche (15. Jh.) samt Hofstaat reichlich vom Haller Törtchen gekostet haben. Die beliebte Haller Spezialität wurde nach mündlich überliefertem Rezept auch noch im 19. Jahrhundert von der Familie Fuchs gezaubert. Unweit der landesfürstlichen Residenz in Hall, dem Fürstenhaus schräg gegenüber, buken die Stadtköche das neuartige Gebäck aus Zucker, Mandeln, Eiern und kostbaren Gewürzen. Gewürze aus fernen Ländern waren schwer zu kriegen und teuer. Heute ist der Umstand, dass die nach feinem Lebkuchen schmeckenden Gewürztaler kein Mehl enthielten, bemerkenswert. Glutenfreie Taler also, die einem auf der Zunge zergehen!

Haller Törtchen reloaded

Unter einem Stadtkoch muss man sich einen Zuckerbäcker oder Konditor der früheren Zeit vorstellen, der außer süßem Gebäck und Torten auch traditionelle Brote für weltliche und kirchliche, öffentliche wie private Feste zauberte. Seit einigen Jahren ist das Haller Törtchen übrigens wieder erhältlich: In Halls feiner Konditorei Weiler am Oberen Stadtplatz wird die Süßspeise zum sofortigen Verzehr oder auch als Geschenk (nach Wahl in besonders gestalteter Verpackung mit Fotomotiven des Haller Farbenschwarms von Heinz Weiler) angeboten. Leckere Tradition und süße Geschenksidee in einem!

Der Stiftsplatz

Im barocken, östlichen Eck der Altstadt gibt es besonders viele Geschichten zu erzählen! In der Platzmitte ist Magdalena von Österreich hoch oben auf der Brunnensäule zu erkennen. Rudolf Reinhart, ein Wahlhaller (!) des 20. Jahrhunderts und bedeutender Metallbildhauer, hat auch hier seine Handschrift hinterlassen: Die aus Kupfer getriebene Skulptur stammt aus den Jahren 1951/2. Sie erinnert an eine echte Königin! Erzherzogin Magdalena war eine von 12 Töchtern Anna Jagiellos von Böhmen und Ungarn und Kaiser Ferdinand I.. Das Ehepaar hatte insgesamt 15 Kinder. Erzherzogin Magdalena gründete zusammen mit zwei ihrer Schwestern, Helena und Margaretha, im Jahre 1571 das Haller Damenstift. Streng gläubig, nach den Gelübden der Keuschheit und des Gehorsams der Oberin gegenüber lebend, führten sie zusammen mit anderen „adeligen Fräuleins“ ein sehr zurückgezogenes Leben, ähnlich wie in einem Kloster.

Das Haller Damenstift als Quelle der Bildung und Kultur

Da die Gründerinnen Vermögen besaßen, erstreckten sich deren Besitzungen zum Teil bis Schloss Bruck in Lienz. Ein Jesuitenkolleg wurde auf Veranlassung der Damen in unmittelbarer Nähe gegründet (heutiges Bezirksgericht), um geistlichen Beistand für die HallerInnen zu gewährleisten. Auch die Bildung kam nicht zu kurz. Noch heute erinnert Halls älteste Schule, die Volksschule am Stiftsplatz daran: Buben aus bürgerlichen Familien wurden hier von Jesuitenpatres unterrichtet.  Auch das kulturelle Leben in der Stadt blühte auf: Magdalena spielte selbst drei klavierartige Instrumente, war begeisterte Musikerin. Es wurde gesungen, musiziert und komponiert, und das auf höchstem Niveau! 

Die fremde Frau

Jahrhunderte später soll sich folgende Geschichte zugetragen haben:

Das Kind der alten Mesnersleute, ein etwa fünfjähriges Mädchen, war erkrankt und hütete das Bett. Als die Mutter eines Tages von ihren Besorgungen nach Hause kam, fand sie die Wohnungstüre unversperrt und eilte erschrocken zum Bett des kranken Kindes. Das Mädchen erzählte der Mutter fröhlich, dass ihr gerade zuvor eine fremde, ganz eigentümlich gekleidete Frau Gesellschaft geleistet, mit ihr gespielt und auch ein wenig gebetet hätte. Die Mutter wollte das nicht recht glauben, doch das Kind beschrieb sehr deutlich die schwarzen Kleider der Frau und ihr gutes Aussehen. Als Monsignore Josef Engel dem Mädchen ein Bild der Stifterin Magdalena zeigte, rief die Kleine sofort: „Ja, das ist die Frau, welche gekommen ist und mit mir gespielt hat!“

Die Weißen Tauben von Hall

Seit 1912 sind die „Weißen Tauben“ Hausherrinnen in der ehemaligen Burg Sparberegg, wo im 15. Jahrhundert die ersten Haller Guldiner geprägt wurden, und später die Damen um Magdalena eingezogen sind. Der Orden der Töchter des Herzen Jesu wurde von der Französin Marie de Jesus Deluil-Martiny gegründet. Nur noch sechs Niederlassungen des Klosters gibt es weltweit, die einzige in Österreich in der Altsstadt von Hall. Die Schwestern leben in strenger Klausur und verlassen das Klostergebäude nur im Notfall, für einen Arztbesuch zum Beispiel. Immer wieder kommen Menschen zur Pforte und spenden Lebensmittel. Am Gewinde der Pforte findet die Übergabe der guten Gaben statt. Ein Haller Kuriosum, die Schwestern leben mehr oder weniger von der Hand in den Mund.

Des Klosters Schutzkindlein

Viele Mythen ranken sich um das Nonnenkloster. Trotz der Kriegswirren des 20. Jahrhunderts blieben Gebäude und BewohnerInnen verschont. Ein Umstand, dem die Nonnen dem Hausväterli oder auch Schweizer Christkindl als deren Beschützer zuschreiben: Ein etwa 30cm großes, aus Holz geschnitztes Jesukind, das im 17. Jahrhundert im Haller Innrechen angeschwemmt wurde. Die Engadiner Schnitzerei, welche Teil einer Mutter-Kind- oder Anna-Selbdritt-Skulptur war, wird noch immer jeden 28. September in einer Prozession durch das Kloster getragen, als Dank für seine Schutzfunktion. Am Gesäß der Figur ist eine Frauenhand zu erkennen. Anzunehmen ist, dass das Christuskind während der Reformation gewaltsam abgeschlagen und in den Fluss geworfen worden war.

Das Schweizer Christkindl als Beschützer in der Not

Die Schutzfunktion des Schweizer Christkindls kommt in folgender Geschichte besonders gut zum Ausdruck:

Als das Christkind noch zur öffentlichen Verehrung in der Stiftskirche ausgestellt war, kamen zahlreiche Bittsteller und flehten es um Hilfe an. Einmal beteten die Angehörigen eines spielsüchtigen Mannes um dessen Bekehrung. Der Mann spielte zu diesem Zeitpunkt gerade wieder mit seinen Kumpanen. Er trank und schimpfte heftig, da er wenig Glück mit seinen Spielkarten hatte. Als die Karten neu ausgeteilt wurden, fehlten plötzlich die wichtigsten unter ihnen, Karo-Ass, Herz-König und Pik-Sieben. Das Spiel musste abgebrochen werden. Erst später entdeckte man die Spielkarten in der Hand des hilfreichen Christkindls! Der Mann sah es als Wink von oben und war für alle Zeiten von seiner Spielsucht geheilt.

Wer gerne weitere Geschichten über Hall und seine Umgebung lesen möchte, dem sei das Buch Geheimnisvolles Hall von Christine Zucchelli empfohlen. Oben im Auszug zitierte, kursiv gedruckte Geschichten stammen aus der Geschichtensammlung der Autorin. Sie lassen Häuser wieder richtig lebendig werden!

Anita

Anita

Anita ist Austria Guide aus Leidenschaft und in ihrer Freizeit gerne in den Bergen anzutreffen. Sie kocht gerne und verwöhnt das Team immer wieder mit ihren kulinarischen Köstlichkeiten!